Leerstandsmanagement in strukturschwachen Regionen: Praxisleitfaden für Kommunen und Investoren

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Was ist Leerstandsmanagement in strukturschwachen Regionen?

Leerstandsmanagement ist kein einfaches Aufräumen von leeren Häusern. Es ist ein systematischer Prozess, um verlassene Gebäude wieder in den Kreislauf des Lebens zurückzuführen - besonders in Regionen, die seit Jahren schrumpfen. In diesen Gebieten stehen Häuser leer, weil Menschen weggezogen sind, weil die Infrastruktur schlecht ist oder weil niemand mehr investieren will. Die Folge: Viertel verfallen, die Attraktivität sinkt, und die Gemeinden verlieren Steuereinnahmen. Das Ziel des Leerstandsmanagements ist es, genau das zu stoppen - und zwar nachhaltig.

Strukturschwache Regionen sind laut Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) Gebiete, die hinter der nationalen Entwicklung zurückbleiben. Das wird an vier Kennzahlen gemessen: Einkommen, Arbeitsmarkt, Erwerbsquote und Infrastruktur. In ländlichen Gebieten wie dem Saarland oder Teilen Ostdeutschlands liegen die Leerstandsquoten oft über 5 %, in Einzelgemeinden wie Sonntag oder Raggal in Vorarlberg sogar bei 3,15 %. Das klingt nicht viel - aber in einer kleinen Gemeinde mit 1.000 Wohnungen sind das 30 leere Häuser. Und jedes davon zieht weitere Probleme nach sich.

Warum sind leerstehende Immobilien in strukturschwachen Regionen ein Problem?

Ein leeres Haus ist mehr als nur ein Bauwerk ohne Bewohner. Es ist ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem. In strukturschwachen Regionen entstehen Leerstände nicht durch kurzfristige Marktschwankungen, sondern durch langfristige strukturelle Schwächen. Die Hauptursachen sind:

  • Bauliche Mängel: Häuser sind alt, schlecht gedämmt, haben veraltete Sanitäranlagen - und niemand investiert, weil die Kaufkraft fehlt.
  • Bevölkerungsrückgang: Junge Menschen ziehen in die Stadt, ältere Menschen sterben ab, Nachwuchs bleibt aus.
  • Schlechte Infrastruktur: Wenig Breitband, schlechte Busverbindungen, keine Nahversorgung - wer will schon dort wohnen?
  • Zersplitterte Eigentümerstrukturen: Ein Haus hat 15 Erben, keiner weiß, wer was tun soll, und keiner hat Geld für Sanierung.

Das Ergebnis? Soziale Segregation. Wer bleibt, ist oft auf Sozialleistungen angewiesen. Wer kann, zieht weg. Die Gemeinde verliert an Dynamik, die Nachbarschaft zerfällt. Und die Leerstände werden zu einem unsichtbaren Abfallproblem - sie verderben das Bild der ganzen Region.

Wie unterscheidet sich Leerstandsmanagement in schrumpfenden von wachsenden Regionen?

In Berlin oder München ist ein leerstehendes Apartment meist nur ein Übergangszustand. Die Nachfrage ist hoch, die Mieter warten. Ein paar Wochen, und es ist wieder vermietet. In einer strukturschwachen Region ist das anders. Hier gibt es keinen Markt. Es gibt nicht genug Menschen, die nachziehen wollen. Die Immobilie bleibt jahrelang leer - und verfällt dabei.

Die ifo Institut-Analyse zeigt: In ländlichen Fördergebieten lag die Infrastrukturausstattung 2022 bei 78,1 %. In städtischen Gebieten waren es 90,0 %. 1995 waren es in ländlichen Gebieten nur 34,2 %. Das heißt: Die Kluft hat sich in 30 Jahren vergrößert. In wachsenden Regionen geht es darum, schnell zu bauen. In schrumpfenden Regionen geht es darum, gezielt abzubauen - und dann neu zu nutzen.

Ein Beispiel: In einem Dorf mit 2.000 Einwohnern und 100 leeren Wohnungen ist es sinnvoller, 30 Wohnungen zu sanieren und sie an junge Familien zu vermieten, als alle 100 zu renovieren. Der Schlüssel ist: Auswahl. Priorisierung. Strategie.

Umnutzung einer ehemaligen Schule in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt für Senioren

Was braucht eine Gemeinde, um Leerstandsmanagement erfolgreich umzusetzen?

Leerstandsmanagement funktioniert nicht mit einem einzigen Gesetz oder einer Förderung. Es braucht vier Säulen:

  1. Daten sammeln: Wie viele Wohnungen stehen leer? Wo? Warum? Wer ist Eigentümer? Viele Kommunen haben keine genaue Liste. Sie wissen nicht, was sie haben. Ohne Daten gibt es keine Entscheidungen.
  2. Investoren und Nutzer finden: Wer kann sanieren? Wer braucht günstigen Wohnraum? Jugendliche, Senioren, Flüchtlinge, Künstler? Die Zielgruppe bestimmt die Sanierungsform.
  3. Finanzierung sichern: Die Sanierung einer Altbauwohnung kostet zwischen 80.000 und 150.000 Euro. Die Kommune kann das nicht allein zahlen. Deshalb braucht sie Fördermittel vom Land, vom Bund, von privaten Investoren - und oft auch eine Mischfinanzierung.
  4. Akteure vernetzen: Kein Einzelner kann das schaffen. Es braucht die Gemeindeverwaltung, die Wohnungsbaugesellschaft, den Architekten, den Sozialdienst, den Handwerker, den Investor - und die Bewohner. Ohne Kooperation bleibt alles auf dem Papier.

Die Erfahrung zeigt: Kommunen brauchen 12 bis 18 Monate, bis die ersten Projekte umgesetzt sind. Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Wer hier schnell Erfolge erwartet, wird enttäuscht.

Praktische Lösungsansätze aus der Realität

Es gibt keine einheitliche Lösung. Aber es gibt erfolgreiche Modelle, die sich bewährt haben.

  • Quartierskonzepte: Statt einzelne Häuser zu sanieren, wird ein ganzer Straßenzug neu gedacht. In einem Dorf in Sachsen wurden 12 leerstehende Häuser zu einem gemeinsamen Wohn- und Begegnungszentrum umgebaut - mit Bibliothek, Café und Arbeitsräumen für Selbstständige. Die Mieterzahl stieg von 0 auf 24.
  • Alternative Wohnformen: In Ostdeutschland werden alte Schulen zu Senioren-WGs umgebaut. In Thüringen entstehen aus verlassenen Gasthöfen Co-Living-Spaces für digitale Nomaden - mit schnellem Internet und Gemeinschaftsräumen.
  • Stadtumbau West: Die Transferstelle unterstützt Kommunen seit 2019 mit Experten, Checklisten und Praxisbeispielen. Sie helfen, Förderanträge zu schreiben, Projekte zu planen und Akteure zusammenzubringen.
  • Grundstücke zurückkaufen: Wenn Eigentümer nicht mehr reagieren, kann die Kommune unter bestimmten Voraussetzungen leerstehende Grundstücke erwerben - und sie dann an verlässliche Nutzer verpachten. Das ist rechtlich komplex, aber möglich.

Ein besonders wirkungsvoller Ansatz: Die Kombination von Wohnraum und Dienstleistungen. Ein Haus wird nicht nur saniert - es wird auch zu einem Anlaufpunkt. Ein Pflegedienst zieht ein, eine Werkstatt für Handwerker öffnet, ein Fahrradverleih wird betrieben. So wird das Gebäude zum Herzstück des Viertels - nicht nur zur Unterkunft.

Kommunale Planerin mit digitaler Karte und Stakeholder-Gruppe vor revitalisiertem Haus

Welche Fördermittel stehen zur Verfügung?

Die Bundesregierung fördert Leerstandsmanagement über das Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW). Die Förderung wird ab 2026 neu ausgerichtet - und jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich darauf vorzubereiten.

Ab der nächsten Förderperiode fließen Gelder nicht mehr nur für Straßen oder Schulen, sondern auch für:

  • Breitbandausbau in leerstehenden Gebäuden
  • Umnutzung von Gewerbeimmobilien in Wohnraum
  • Maßnahmen zur Verbesserung der Erreichbarkeit (z. B. Mobilitätsangebote)
  • Projekte, die MINT-Berufe fördern (z. B. Werkstätten für Technikinteressierte)

Zusätzlich gibt es:

  • Das Städtebauförderungsprogramm der Länder - oft mit 50-80 % Zuschuss
  • Die KfW-Förderung für energetische Sanierungen
  • Die EU-Strukturfonds für grenznahe Regionen (z. B. im Saarland, nahe Luxemburg)

Wichtig: Die Anträge sind komplex. Wer allein versucht, sie zu schreiben, scheitert oft. Deshalb sollten Kommunen die Transferstellen des Stadtumbau West nutzen - sie helfen bei der Konzeption, bei der Finanzplanung und bei der Beantragung.

Was bleibt, wenn alles gescheitert ist?

Nicht jede Leerstandsquote lässt sich beseitigen. In Regionen mit extremem Bevölkerungsrückgang - wo 20 % der Wohnungen leerstehen - ist es oft sinnvoller, abzubauen, als zu sanieren. Hier geht es nicht um Rettung, sondern um Ordnung.

Ein Beispiel: In einem Dorf in Brandenburg wurden 40 verfallene Häuser abgerissen. Die Flächen wurden zu Kleingärten, Spielplätzen oder Biotopen umgewandelt. Die Bewohner bekamen einen besseren Lebensraum - und die Gemeinde sparte Kosten für Heizung, Reparatur und Sicherung.

Das ist kein Misserfolg. Das ist Realismus. Leerstandsmanagement bedeutet nicht, alles zu retten. Es bedeutet, das Richtige zu retten - und das Falsche loszulassen.

Was kommt als Nächstes?

Die Zukunft des Leerstandsmanagements liegt in der Integration. Es geht nicht mehr nur um Immobilien. Es geht um Lebensqualität. Um Mobilität. Um Digitalisierung. Um soziale Teilhabe.

Die Bundesregierung plant, das Förderprogramm noch stärker auf gleichwertige Lebensverhältnisse auszurichten. Das heißt: Es wird nicht mehr nur um Häuser gehen, sondern um die Frage: Wie können Menschen in strukturschwachen Regionen ein gutes Leben führen?

Die Kommunen, die jetzt handeln, werden in 10 Jahren die attraktiveren Orte sein. Die, die warten, werden weiter schrumpfen. Die Zeit läuft. Nicht für die großen Städte - sondern für die kleinen Gemeinden, die noch eine Chance haben.

1 Comments

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    Heidi Floyd

    Dezember 10, 2025 AT 04:15
    Endlich mal jemand, der nicht nur über Leerstand redet, sondern wirklich was tut!
    Ich wohne in einer solchen Gemeinde – und seitdem die alte Poststelle zu einem Kiezcafé wurde, kommt wieder Leben rein. 😊

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