Künstliche Intelligenz in der Immobilienbewertung: So funktioniert sie heute und wohin geht die Reise
- Dez, 27 2025
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- Lukas Friedrich
Stellen Sie sich vor, Sie wollen Ihre Altbauwohnung in Berlin-Mitte verkaufen. Die KI-App, die Sie nutzen, schlägt einen Preis vor, der 28 Prozent unter dem liegt, was Ihr Nachbar vor zwei Monaten bekommen hat. Warum? Weil die KI nicht weiß, dass die Nachbarschaft gerade von einem neuen Stadtteilprojekt mit grünen Dächern und Fahrradstraßen profitiert. Sie kennt keine Stuckdecken, keine Geschichte, keine Stimmung. Sie rechnet. Aber sie versteht nicht.
Was KI in der Immobilienbewertung wirklich kann
Künstliche Intelligenz in der Immobilienbewertung ist kein Zauberstab. Sie ist ein Werkzeug - und zwar ein sehr leistungsstarkes. Seit 2022 hat die Bundesrepublik offizielle Leitlinien für KI-gestützte Bewertungen veröffentlicht. Seitdem hat sich die Technologie von Experimenten zu einem festen Bestandteil der Branche entwickelt. Heute übernimmt KI bereits 78 Prozent der routinemäßigen Datenauswertung. Das bedeutet: Sie sammelt Informationen aus tausenden Transaktionen, analysiert Lage, Energieeffizienz, Zimmeranzahl, Baujahr und sogar die Entfernung zum nächsten Supermarkt. Sie verarbeitet durchschnittlich 37 Merkmale pro Immobilie. Die Genauigkeit bei Standardwohnungen liegt bei 88,7 Prozent.
Diese Zahlen klingen beeindruckend. Und sie sind es auch - aber nur für bestimmte Fälle. KI ist gut darin, Muster in großen Datenmengen zu erkennen. Sie kann in Sekunden vergleichen, was ein menschlicher Gutachter Wochen braucht. Sie ist konsistent. Sie vergisst nicht, was sie gelernt hat. Sie lässt sich nicht von Emotionen oder Vorurteilen beeinflussen. Das ist der große Vorteil: Kein Gutachter bewertet heute zwei Häuser unterschiedlich, nur weil er müde ist oder den Vorbesitzer mochte. KI sorgt für Objektivität.
Wo KI scheitert - und warum der Mensch noch unersetzlich ist
Aber hier kommt der Haken. KI versteht keine Mikrostandorte. Sie kann nicht fühlen, wie sich ein neuer Park in der Nachbarschaft auf die Lebensqualität auswirkt. Sie weiß nicht, dass ein Haus mit 3,80 Meter hohen Decken und originalen Holzvertäfelungen in Hamburg eine seltene Ausnahme ist - und damit einen deutlich höheren Wert hat als ein Standardbau aus den 80ern. Laut der Calvest.de-Studie vom Januar 2025 erkennen KI-Systeme solche lokalen Besonderheiten nur zu 38 Prozent korrekt.
Ein Beispiel aus der Praxis: In Frankfurt hat ein Gutachter ein denkmalgeschütztes Haus bewertet, das von einer KI als unterdurchschnittlich eingestuft wurde. Warum? Weil es kein modernes Badezimmer hatte. Der menschliche Gutachter wusste: Die Nachfrage nach historischen Wohnungen in der Innenstadt ist so hoch, dass Kunden bereit sind, auf moderne Ausstattung zu verzichten. Die KI hat das nicht gelernt. Sie hat nur gelernt, was in den letzten fünf Jahren in den Datenbanken passiert ist - nicht, was in der Stadt vor sich geht.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Bei komplexen Bewertungen - Altbauten, Sonderimmobilien, Lagen mit besonderer Entwicklung - liegt die Genauigkeit menschlicher Gutachter bei 94,1 Prozent. KI kommt auf 82,3 Prozent. Das klingt nach einem kleinen Unterschied. Aber in der Immobilienwelt sind 12 Prozent eine Million Euro. Und diese 12 Prozent sind die Differenz zwischen einem verpassten Verkauf und einem überteuerten Angebot.
Die Hybrid-Lösung: KI als Assistent, nicht als Ersatz
Die Zukunft liegt nicht in der Entscheidung zwischen Mensch und Maschine. Die Zukunft liegt in der Kombination. Die erfolgreichsten Unternehmen in Deutschland haben das längst verstanden. Sprengnetter Real Estate Services, einer der größten Anbieter, hat 2024 eine neue Rolle eingeführt: den KI-Interpreter. Diese Mitarbeiter kennen die Technik - und sie kennen die Immobilien. Sie prüfen, was die KI vorschlägt, filtern die Fehlinterpretationen heraus und ergänzen sie mit lokalem Wissen. 73 Prozent der Unternehmen, die KI erfolgreich eingeführt haben, arbeiten nach diesem Modell.
Das ist kein Zufall. Es ist die logische Konsequenz. KI kann die Daten liefern. Der Mensch entscheidet, was sie bedeuten. KI kann in einer Stunde 1000 Objekte analysieren. Der Mensch braucht drei Tage, um einen Altbau mit historischem Stuck richtig einzuschätzen. Beide zusammen? Das ist die perfekte Symbiose.
Die Kosten und die Hürden: Warum viele noch zögern
Nicht jeder kann sich ein KI-System leisten. Die Grundversion kostet 1.250 Euro pro Monat. Enterprise-Lösungen wie die von WuestPartner liegen bei bis zu 8.500 Euro. Das ist für ein kleines Maklerbüro mit fünf Mitarbeitern eine große Investition. Und dann kommt noch die Integration. 68 Prozent der Unternehmen haben Probleme, die KI mit ihren alten Systemen aus den 60er Jahren zu verbinden. Die durchschnittliche Implementierungszeit: 14,5 Wochen.
Dazu kommt die Schulung. Ein Mitarbeiter braucht durchschnittlich 87 Stunden, um die Tools richtig zu nutzen. Viele Unternehmen haben keine klaren Regeln, wie KI eingesetzt werden darf. 63 Prozent haben keine Governance-Richtlinien. 57 Prozent haben keine Schulungsprogramme. Das führt dazu, dass KI oft nur halbherzig genutzt wird - oder falsch. Ein Nutzer auf Trustpilot schreibt: „Die KI hat meinen Altbau in Berlin-Mitte um 28 Prozent unterschätzt, weil sie die Nachfrage nach historischen Wohnungen nicht kannte.“ Das ist kein technisches Problem. Das ist ein organisatorisches. Wer KI einsetzt, muss auch lernen, sie zu kontrollieren.
Der Markt: Wer wächst, wer zurückbleibt
Der Markt für KI in der Immobilienbewertung wächst. 2024 lag der Umsatz bei 187 Millionen Euro. 2025 wird er auf 254 Millionen Euro geschätzt. Das ist ein Anstieg von 36 Prozent in einem Jahr. Aber die Adoption ist ungleich. Große Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern nutzen KI zu 82 Prozent. Kleine Maklerbüros mit unter 10 Mitarbeitern? Nur 29 Prozent. Die Kluft wird größer.
Warum? Weil große Firmen die Mittel haben, in Software, Schulung und Integration zu investieren. Sie haben Teams, die sich mit KI beschäftigen. Sie haben die Zeit, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Kleine Unternehmen hingegen müssen jeden Euro zweimal umdrehen. Und sie haben oft nicht mal die Kapazität, sich mit der Technik auseinanderzusetzen.
Das ist das größte Risiko: Dass die Digitalisierung der Immobilienbewertung zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft wird. Wer KI nutzen kann, wird schneller, genauer, effizienter. Wer sie nicht nutzen kann, bleibt hinterher - und verliert Kunden an die, die es können.
Was kommt als Nächstes? Generative KI und der neue Standard
Die nächste Welle kommt mit generativer KI. Diese Systeme können nicht nur Daten analysieren - sie können auch Szenarien simulieren. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Haus in einem Viertel, das bald umgebaut wird. Die KI kann nicht nur die aktuellen Preise vergleichen. Sie kann berechnen: Was passiert, wenn die neue U-Bahn-Linie in drei Jahren fertig ist? Wie viel Wert gewinnt das Haus dann? Wie viele Käufer sind dann bereit, mehr zu zahlen?
Das ist die Zukunft. Und sie ist schon da. 91 Prozent der Immobilienunternehmen sehen in generativer KI die Schlüsseltechnologie der nächsten fünf Jahre. Jedes vierte Unternehmen will seine KI-Investitionen in den nächsten 12 Monaten um mindestens 40 Prozent erhöhen. Die Gutachterausschüsse arbeiten an Reformen für das Baugesetzbuch, um KI-Verfahren rechtlich abzusichern. Die ZIA und die DVW arbeiten gemeinsam an neuen Standards.
Die Prognose von Sebastian Drießen von Sprengnetter ist klar: Bis 2027 wird KI 85 Prozent der Datenauswertung übernehmen. Der menschliche Gutachter wird sich auf das konzentrieren, was Maschinen nicht können: Interpretation, Kommunikation, Urteilsvermögen. Die Aufgabe wird nicht weniger. Sie wird nur anders.
Was Sie jetzt tun sollten
Wenn Sie Immobilien bewerten, verkaufen oder kaufen: Ignorieren Sie KI nicht. Aber vertrauen Sie ihr auch nicht blind.
- Wenn Sie ein Standardhaus in einer etablierten Lage haben: Nutzen Sie KI für eine schnelle erste Schätzung. Sie ist zuverlässig.
- Wenn es ein Altbau, ein Denkmal oder eine Sonderimmobilie ist: Lassen Sie sich von einem menschlichen Gutachter beraten - und bringen Sie die KI-Ergebnisse mit. Vergleichen Sie.
- Wenn Sie ein Unternehmen betreiben: Investieren Sie nicht nur in Software. Investieren Sie in Schulung. In Prozesse. In die Rolle des KI-Interpreters.
- Wenn Sie KI nutzen: Fragen Sie immer: „Was hat die KI nicht gesehen?“
Die Technik wird besser. Die Daten werden mehr. Die Genauigkeit steigt. Aber der Wert einer Immobilie ist nie nur eine Zahl. Er ist Geschichte. Er ist Gefühl. Er ist die Zukunft, die jemand in dieser Wohnung sieht. Und das kann keine Maschine messen. Sie kann nur helfen, es zu verstehen.
Kann eine KI den Wert meiner Immobilie genauso gut schätzen wie ein menschlicher Gutachter?
Bei einfachen, standardisierten Immobilien - wie Einfamilienhäusern in gut erschlossenen Lagen - kann KI sehr genau sein, mit Abweichungen von nur 5,3 Prozent zum tatsächlichen Marktwert. Bei komplexen Objekten wie Altbauten, Denkmälern oder Sonderimmobilien liegt die Genauigkeit menschlicher Gutachter jedoch deutlich höher - bis zu 32 Prozent präziser als KI-Systeme. KI verarbeitet Daten, aber sie versteht keine architektonischen Details, keine historische Bedeutung oder lokale Entwicklungstrends. Deshalb ist die beste Methode die Kombination aus KI-Datenanalyse und menschlicher Expertise.
Wie viel kostet eine KI-gestützte Immobilienbewertung?
Die monatlichen Kosten für professionelle KI-Bewertungstools variieren stark. Grundfunktionen kosten etwa 1.250 Euro pro Monat. Für Unternehmen mit hohen Anforderungen, wie große Maklerfirmen oder Immobilienfonds, liegen die Preise bei bis zu 8.500 Euro monatlich. Hinzu kommen einmalige Kosten für Integration, Schulung und Anpassung an bestehende Systeme. Viele kleine Maklerbüros scheitern nicht an der Technik, sondern an den Kosten und der Komplexität der Einführung.
Warum schätzen KI-Systeme Altbauten oft falsch ein?
KI-Systeme lernen aus historischen Transaktionsdaten - aber sie lernen nicht aus Kontext. Sie erkennen nicht, dass eine Wohnung mit 3,80 Meter hohen Decken, originalen Stuckelementen oder einem historischen Treppenhaus in Berlin-Mitte einen hohen Wert hat, weil es nur wenige solcher Objekte gibt und die Nachfrage stark ist. Sie sehen nur: „Baujahr 1920, kein Lift, kein modernes Bad.“ Und bewerten das als nachteilig. Die menschliche Expertise weiß: In bestimmten Lagen sind diese Merkmale ein Premium-Feature. Das ist der Hauptgrund für die hohen Abweichungen bei Altbauten.
Welche Daten nutzt eine KI für die Immobilienbewertung?
Moderne KI-Systeme verarbeiten durchschnittlich 37 Merkmale pro Immobilie. Dazu gehören: Baujahr, Wohnfläche, Zimmeranzahl, Energieeffizienzklasse, Lage, Entfernung zu Schulen, öffentlichem Nahverkehr und Einkaufsmöglichkeiten. Sie greifen auf Daten aus Gutachterausschüssen, Immobilienportalen wie ImmobilienScout24 und Engel & Völkers, sowie auf regionale Infrastrukturdaten zu. Einige Systeme nutzen sogar Satellitenbilder, um Grünflächen oder Baustellen zu erkennen. Was sie nicht nutzen: subjektive Faktoren wie Stimmung, Nachbarschaftsgefühl oder geplante Stadtentwicklungen, die noch nicht in offiziellen Daten stehen.
Wird KI in Zukunft menschliche Gutachter ersetzen?
Nein. 87 Prozent der Gutachter gehen davon aus, dass der Mensch bis 2030 weiterhin die finale Entscheidung bei komplexen Bewertungen trifft. KI wird die Datenanalyse übernehmen - und damit die Routinearbeit. Das entlastet Gutachter und macht sie effizienter. Aber die Interpretation von lokalen Entwicklungen, die Bewertung von Einzigartigkeiten, die Kommunikation mit Kunden - das bleibt menschliche Arbeit. Die Zukunft ist nicht KI oder Mensch. Die Zukunft ist KI mit Mensch.