Erschließungskosten beim Neubau: Was ist fair und wie viel muss man wirklich zahlen?

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Beim Hausbau denken die meisten an die Baupläne, die Ziegelsteine, die Fenster und die Küche. Aber fast jeder, der ein Grundstück kauft und baut, wird von einer Rechnung überrascht, die er nicht auf dem Schirm hatte: die Erschließungskosten. Diese Gebühren, die von der Gemeinde erhoben werden, können bis zu 22 % der gesamten Baukosten ausmachen - und oft kommen sie erst Jahre nach dem Einzug. Was ist fair? Und wie kannst du dich davor schützen?

Was sind Erschließungskosten wirklich?

Erschließungskosten sind keine Steuern. Sie sind keine freiwillige Spende an die Kommune. Sie sind eine gesetzliche Abgabe, die du zahlen musst, damit dein Grundstück an die öffentliche Infrastruktur angeschlossen wird. Das bedeutet: Straße, Gehweg, Wasserleitung, Abwasserkanal, Stromkabel, Gasleitung und Internetanschluss müssen bis an deine Grundstücksgrenze gelegt werden. Alles, was danach kommt - also die Leitungen vom Grundstücksrand bis zum Haus - zahlt du selbst. Das ist die private Erschließung. Die öffentliche Erschließung ist die Aufgabe der Gemeinde. Und dafür verlangt sie Geld.

Das ist nicht neu. Seit 1960 ist das im Baugesetzbuch geregelt. Aber seit 2020 sind die Kosten stark gestiegen. Materialien teurer, Löhne höher, Logistik komplizierter. In einigen Gemeinden in Niedersachsen oder Baden-Württemberg liegen die Kosten heute bei 80 bis 120 Euro pro Quadratmeter Grundstücksfläche. Ein 500 m² Grundstück? Das sind 40.000 bis 60.000 Euro - und das, bevor du auch nur einen Pflock in die Erde schlägst.

Warum ist das so ungleich?

Es gibt keine bundesweite Regelung. Jede Gemeinde macht das selbst. In München bekommst du einen genauen Kostenvoranschlag, bevor du kaufst. In einer kleinen Gemeinde im Landkreis Lüneburg steht auf dem Grundstücksangebot: „Erschlossen“. Und nach dem Kauf kommt der Brief: „Ihr Beitrag: 32.500 Euro.“

Warum? Weil die Gemeinden die Kosten nicht direkt beim Verkauf berechnen, sondern erst, wenn die Baumaßnahme abgeschlossen ist - und das kann drei, fünf, manchmal sogar zehn Jahre dauern. Ein Bauherr aus Hannover berichtete auf einem Forum, dass er 2019 sein Grundstück kaufte, 2021 baute und erst 2024 die Rechnung bekam. In der Zwischenzeit hatte er sein Haus verkauft. Wer zahlt? Er. Und er hatte keine Chance, das in die Finanzierung einzuplanen.

Das ist nicht fair. Und es ist auch nicht legal, wenn die Gemeinde nicht vorher informiert hat. Der Deutsche Anwaltverein sagt klar: Wenn du als Käufer nicht über die möglichen Kosten aufgeklärt wurdest, kannst du den Kaufvertrag anfechten. Viele Bauherren tun das nicht, weil sie Angst haben - oder weil sie denken, es sei normal.

Was ist fair? 75 Euro pro Quadratmeter als Grenze

Professor Klaus Schäfer von der Hochschule für Technik Stuttgart hat eine klare Regel aufgestellt: Wenn die Erschließungskosten mehr als 75 Euro pro Quadratmeter betragen, sind sie unverhältnismäßig. Warum? Weil die tatsächlichen Baukosten für Straße, Wasser und Strom bei modernen Projekten selten über 60 Euro pro Quadratmeter liegen. Der Rest ist Verwaltung, Bürokratie, Planungsaufwand - und manchmal einfach Profit der Kommune.

Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt: In den Niederlanden zahlen Bauherren 23 % weniger. In Österreich 17 % weniger. Warum? Weil dort die Kosten schon beim Verkauf festgelegt werden. Und weil die Gemeinden nicht auf die langen Fristen setzen, um ihre Kassen zu füllen.

Ein weiterer Hinweis: Wenn die Erschließungskosten mehr als 25 % der Gesamtkosten des Grundstücks ausmachen, gilt das laut Deutschem Anwaltverein als unangemessen. In ländlichen Gebieten, wo ein Grundstück 50.000 Euro kostet, ist eine Erschließungsrechnung von 15.000 Euro ein Problem. Da ist der Preis für das Grundstück fast nur noch die Erschließung.

Waage mit Haus und hohem Geldstapel, der Erschließungskosten darstellt, symbolisiert die ungleiche Kostenverteilung beim Bau.

Wie du dich vor überraschenden Kosten schützt

Es gibt einen einfachen Weg, das zu vermeiden. Du musst nicht warten, bis du den Kaufvertrag unterschreibst. Du musst es vorher tun.

  1. Frage die Gemeinde an. Gehe oder schreibe beim Bauamt deiner Wahl an. Fordere die aktuelle Erschließungsbeitragssatzung an. Das ist das Gesetz, das die Gebühren regelt. Sie steht online - aber oft versteckt. Frag nach, wenn du sie nicht findest.
  2. Frage nach dem konkreten Kostenvoranschlag. Sag: „Ich möchte ein Grundstück von 450 m² kaufen. Wie hoch sind die Erschließungskosten für genau dieses Grundstück?“ Die Gemeinde muss dir eine schriftliche Schätzung geben. Sie ist nicht bindend, aber sie ist dein einziger Schutz.
  3. Prüfe den Zustand des Grundstücks. Steht da „erschlossen“? Frag: „Wurde die Straße bereits gebaut? Ist das Abwasserkanalnetz bis zur Grundstücksgrenze verlegt?“ Oft ist „erschlossen“ nur ein Marketing-Begriff. Der Kanal ist noch in der Planung.
  4. Schreibe es in den Kaufvertrag. Verlange eine Klausel: „Der Verkäufer verpflichtet sich, alle Erschließungskosten zu tragen, die nach dem Kaufdatum durch die Gemeinde erhoben werden.“ So bist du nicht derjenige, der später die Rechnung zahlt.
  5. Hole dir einen Fachanwalt. 41 % der Kaufverträge enthalten Fehler bei der Darstellung der Erschließungskosten. Ein Anwalt für Bau- und Architektenrecht prüft das für 300 bis 500 Euro. Das ist Geld, das du nie wieder verlieren wirst.

Die Bearbeitungszeit für diese Anfragen beträgt in ländlichen Gemeinden oft nur zwei Wochen. In Großstädten kann es vier bis sechs Wochen dauern. Aber das ist die Zeit, die du brauchst, um nicht in eine Falle zu tappen.

Warum du nicht auf „wird später geregelt“ vertrauen solltest

Ein Makler sagt: „Keine Sorge, die Erschließung ist schon bezahlt.“ Ein Grundstückskatalog sagt: „Voll erschlossen.“ Ein Immobilienportal zeigt: „Preis inkl. Erschließung.“

Das ist Lüge. Oder Unwissenheit. Oder beides.

Die meisten Makler kennen die Satzungen der Gemeinden nicht. Sie verkaufen Häuser, nicht Rechtsdokumente. Und wenn du später die Rechnung bekommst, ist er verschwunden. Du sitzt allein mit dem Brief und der Zahlungspflicht.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Kundin aus Stuttgart kaufte ein 300 m² Grundstück. Der Makler sagte: „Alles erledigt.“ Zwei Jahre später kam der Bescheid: 18.700 Euro. Sie konnte nicht beweisen, dass der Makler falsch informiert hatte. Sie zahlte. Und sie war wütend. Aber sie hatte keinen Schutz.

Hausbesitzer betrachtet einen Brief mit einer hohen Erschließungsrechnung, umgeben von Bauplänen und einem Kalender mit Jahren der Wartezeit.

Was sich ändern wird - und warum du jetzt handeln musst

Die Bundesregierung plant eine Obergrenze: 20.000 Euro pro Grundstück. Das klingt gut. Aber es ist nur ein Anfang. Und es gilt nur für Wohnbaugrundstücke. Für Gewerbe oder Doppelhäuser gilt es nicht.

65 % der deutschen Gemeinden planen bis 2025, ihre Satzungen zu überarbeiten. Das ist ein positives Zeichen. Aber es passiert nicht von selbst. Du musst Druck machen. Frag bei deiner Gemeinde nach: „Wann wird die neue Satzung veröffentlicht?“

Und es gibt noch eine andere Entwicklung: Der Bundesfinanzhof entscheidet 2024, ob Erschließungskosten steuerlich absetzbar sind. Aktuell sagt das Finanzamt: Nein, das ist Anschaffungskosten. Aber ein Gericht in München hat schon zugunsten eines Bauherren entschieden. Wenn das Bundesfinanzhof folgt, könnte das die Kosten für viele um 15-20 % senken - weil du sie von der Steuer absetzen kannst.

Was du heute tun kannst

Wenn du ein Grundstück suchst: Unterbrich die Suche. Geh nicht zum Makler. Geh zum Bauamt. Frag nach der Satzung. Frag nach dem Kostenvoranschlag. Frag nach der Verlegung der Leitungen. Schreibe alles auf. Und wenn du einen Vertrag unterschreibst, dann nur, wenn du weißt, was kommt.

Die Erschließungskosten sind kein Nebenprodukt des Hausbaus. Sie sind ein zentraler Teil davon. Und sie bestimmen, ob du dein Haus bauen kannst - oder ob du dich entscheiden musst: „Ich will nicht mehr bauen.“

Es ist nicht fair, dass du als Bauherr das Risiko trägst. Aber solange es keine bundesweite Regelung gibt, ist es deine Pflicht, dich zu schützen. Nicht später. Nicht wenn die Rechnung kommt. Heute. Bevor du unterschreibst.