Liquiditätsreserve im Sanierungsprojekt: Wie hoch sie sein muss und wie man sie plant

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Ein Sanierungsprojekt scheitert nicht, weil das Geschäftsmodell schlecht ist. Es scheitert, weil das Geld ausgeht. Und zwar genau dann, wenn es am dringendsten gebraucht wird. In Deutschland stirbt fast jedes zweite Unternehmen, das versucht, sich durch eine Sanierung zu retten - nicht wegen mangelnder Ideen, sondern wegen fehlender Liquiditätsreserve. Wenn du ein Unternehmen sanierst, ist die Höhe und Planung dieser Reserve nicht nur eine Finanzkennzahl. Sie ist die Lebensader deines Projekts.

Was ist eine Liquiditätsreserve im Sanierungsprojekt?

Du hast eine Liquiditätsreserve, wenn du Geld hast, das du sofort nutzen kannst - ohne Kreditantrag, ohne Verkauf von Maschinen, ohne Warten auf eine Bankzusage. Es ist dein Notgroschen, der nur für eine Sache da ist: das Unternehmen am Leben zu halten, während du es umbaust. Das ist kein Sparbuch, kein Tagesgeldkonto für Urlaube. Das ist ein finanzieller Puffer, der dich vor dem Absturz bewahrt, wenn ein Hauptkunde nicht zahlt, die Bank die Kreditlinie kürzt oder ein Lieferant plötzlich Vorkasse verlangt.

Die Deutsche Bundesbank hat 2022 untersucht, warum Unternehmen insolvent werden. Das Ergebnis: 68 % der Fälle waren direkt auf zu geringe Liquiditätsreserven zurückzuführen. In Sanierungsprojekten ist das noch extremer. Ohne diese Reserve kannst du keine Maßnahmen umsetzen - keine Mitarbeiter halten, keine Investitionen tätigen, keine Verhandlungen mit Gläubigern führen. Du bist handlungsunfähig, bevor du überhaupt loslegst.

Wie hoch sollte die Liquiditätsreserve sein?

Es gibt keine einheitliche Zahl. Aber es gibt klare Empfehlungen, die du ignorieren solltest - wenn du ernsthaft überleben willst.

Die IDW S6-Richtlinie, die als Standard in der Sanierungsbranche gilt, sagt: Die Reserve sollte mindestens 150 % der monatlichen Fixkosten abdecken. Das klingt nach viel - und ist es auch. Aber es ist das Minimum. Viele Berater empfehlen 3 bis 6 Monate. Das ist der Standard. Der durchschnittliche Standard. Und der führt oft zum Scheitern.

Dr. Michael Schmidt von PwC hat Daten von über 200 Sanierungsprojekten ausgewertet. Unternehmen mit einer Reserve von mindestens 6 Monaten hatten eine Erfolgsquote von 78 %. Unternehmen ohne ausreichende Reserve - 85 % scheiterten. Warum? Weil Sanierungen nicht linear verlaufen. Sie sind chaotisch. Ein Kunde zahlt nicht. Eine Maschine bricht zusammen. Die Steuerbehörde fordert Nachzahlungen. Die Bank verlangt eine Sicherheit, die du nicht hast. In solchen Momenten zählt nicht, was du geplant hast. Sondern, was du auf Lager hast.

Commitly.com und die FCH-Gruppe raten daher: Gehe von 6 bis 9 Monaten aus. Das ist nicht übertrieben. Das ist realistisch. Wenn dein Unternehmen monatlich 80.000 Euro Fixkosten hat, brauchst du mindestens 480.000 Euro - besser 720.000 Euro. Nicht als Kredit. Nicht als zugesagte Förderung. Sondern als echtes Geld auf dem Konto, das du jederzeit abheben kannst.

Was gehört in die Liquiditätsreserve?

Nicht alles, was du als „flüssig“ bezeichnest, ist wirklich flüssig. Eine Liquiditätsreserve besteht nur aus Mitteln, die du innerhalb von 48 Stunden nutzen kannst - ohne Verluste, ohne Verzögerungen, ohne Genehmigungen.

  • Bankguthaben auf Geschäftskonten
  • Firmentagesgeld mit sofortiger Abhebbarkeit
  • Kurzfristige Geldanlagen mit Laufzeit unter 7 Tagen
  • Verfügbare Wertpapiere, die du innerhalb einer Woche verkaufen kannst

Was nicht dazu gehört? Forderungen aus offenen Rechnungen. Das ist kein Geld - das ist eine Hoffnung. Ein Kunde, der in 60 Tagen zahlt, ist kein Teil deiner Reserve. Das ist ein Risiko. Und in Sanierungsprojekten kannst du dir Risiken nicht leisten. Auch nicht, wenn deine Buchhaltung sagt, dass „die Forderungen da sind“.

Die FCH-Gruppe warnt: Viele Sanierungspläne scheitern, weil Berater Buchhaltungsdaten als Planungsgrundlage nehmen. Aber Buchhaltung ist immer hinterher. Wenn du externe Buchhaltung hast, liegen die Zahlen oft um 3 bis 4 Wochen verzögert vor. In einer Krise ist das eine Ewigkeit. Du brauchst Echtzeit-Daten - nicht historische Zahlen.

Zerbrechliche Brücke aus drei Säulen, die vor Insolvenz rettet — eine Säule bricht, eine wird gestärkt.

Warum sind andere Finanzierungsinstrumente keine Lösung?

Du denkst vielleicht: „Warum nicht einfach Factoring oder einen Kredit nehmen?“ Das ist eine falsche Frage. Die richtige Frage ist: „Was passiert, wenn du keinen Kredit bekommst?“

Factoring: Du verkaufst deine Forderungen an einen Dienstleister. Du bekommst sofort Geld - aber 1 bis 3 % pro Forderung gehen als Gebühr drauf. Und du verlierst die Kontrolle über deine Kundenbeziehungen. Es ist eine Notlösung - keine Strategie.

Sale & Lease Back: Du verkaufst deine Immobilie oder Maschinen und mietest sie zurück. Klingt gut. Aber die Umsetzung dauert 4 bis 8 Wochen. In einer Krise hast du keine 6 Wochen Zeit. Und du verlierst dein Vermögen - und damit deine langfristige Handlungsfähigkeit.

Kredite: Die Banken verlangen Sicherheiten, die du oft nicht hast. Und wenn du sie hast - dann riskierst du die Gläubigerbenachteiligung. Das ist kein Risiko. Das ist eine Straftat. Geschäftsführer wurden schon verurteilt, weil sie Kredite aufgenommen haben, ohne zu prüfen, ob sie die Liquidität wirklich retten konnten.

Die Liquiditätsreserve ist die einzige Lösung, die sofort verfügbar ist, keine Sicherheiten braucht und keine rechtlichen Fallstricke birgt. Sie ist deine Unabhängigkeit. Und in der Sanierung ist Unabhängigkeit das wertvollste Gut.

Wie planst du die Reserve richtig?

Planung ist kein einmaliger Termin. Es ist eine wöchentliche Routine.

Die IDW S6-Richtlinie verlangt eine wöchentliche Aktualisierung der Liquiditätsplanung. Das ist kein Luxus. Das ist Pflicht. Du brauchst drei Zeithorizonte:

  1. Kurzfristig (1-4 Wochen): Was passiert, wenn nächste Woche kein Geld eingeht? Welche Rechnungen fallen an? Welche Ausgaben kannst du verschieben?
  2. Mittelfristig (1-3 Monate): Wie sieht die Entwicklung mit den Kunden aus? Wann kommen Zahlungen? Wann müssen Lieferanten bezahlt werden?
  3. Langfristig (3-12 Monate): Wann wird die Sanierung wirksam? Wann steigen die Einnahmen? Wann kannst du die Reserve abbauen?

Die größten Fehler? Zu optimistische Prognosen. Eine Umfrage des Sanierungsverbandes Deutschland zeigt: 65 % der Unternehmen überschätzen ihre Forderungseinnahmen um durchschnittlich 35 %. Das ist kein Zufall. Das ist eine systematische Fehleinschätzung. Du denkst: „Der Kunde zahlt doch immer.“ Aber in der Krise zahlt niemand. Nicht weil er will - sondern weil er kann.

Ein Fall aus der Praxis: Ein mittelständisches Unternehmen mit 50 Mitarbeitern hatte eine Reserve von 3 Monaten. Dann wurde ein Hauptkunde insolvent. Gleichzeitig kürzte die Bank die Kreditlinie. Die Reserve war in 14 Tagen aufgebraucht. Erst ein Sale & Lease Back-Modell rettete die Lage - mit 250.000 Euro zusätzlicher Liquidität. Zu spät. Der Schaden war schon da.

Finanzteam analysiert Live-Daten in einem War Room mit digitalen Dashboards für Liquiditätsprognosen.

Was macht eine erfolgreiche Liquiditätsplanung aus?

Es gibt drei Säulen:

  1. Echte Daten: Keine Buchhaltung. Keine Prognosen. Nur echte Kontostände, echte Eingänge, echte Ausgänge. Nutze digitale Tools - 78 % der großen Sanierungsberatungen setzen KI-gestützte Prognosetools ein. Du kannst es auch.
  2. Transparenz: Zeige deinen Gläubigern deine Reserve. Nicht als Geheimnis. Als Beweis. Wer sieht, dass du planst, vertraut dir. Wer sieht, dass du planst - und es auch umsetzt - gibt dir Zeit.
  3. Abstimmung mit der Operativen Ebene: 45 % der Sanierungsfehler kommen daher, dass Finanz und Betrieb nicht zusammenarbeiten. Der Vertrieb verspricht neue Aufträge. Die Produktion braucht neue Teile. Der Einkauf will Vorkasse. Wer koordiniert das? Nur wenn du das tust, wird deine Reserve nicht zur Fiktion.

Die Deutsche Bundesbank hat im März 2023 einen Leitfaden für Banken veröffentlicht - mit klaren Anforderungen an Sanierungsunternehmen. Die IDW arbeitet an einer neuen Version der S6-Richtlinie, die noch strengere Regeln bringen wird. Die Zukunft gehört nicht den Unternehmen, die am meisten Geld haben. Sondern denen, die am besten mit wenig Geld umgehen können.

Was kommt als Nächstes?

Die Zahlen sind klar: Bis 2025 wird der Anteil der Unternehmen mit Liquiditätsproblemen um weitere 25 % steigen - besonders im Mittelstand. Die Anforderungen der Banken werden härter. Die Fristen kürzer. Die Reserven länger.

Die Prognose: Die Mindesthöhe der Liquiditätsreserve wird von 3-6 auf 6-9 Monate steigen. Wer jetzt noch mit 3 Monaten plant, wird in 12 Monaten nicht mehr überleben. Wer jetzt 9 Monate aufbaut, hat die besten Chancen - und die größte Ruhe.

Deine Liquiditätsreserve ist nicht die Summe deiner Konten. Sie ist dein letzter Rettungsanker. Und sie ist die einzige Sache, die dich vor dem Untergang bewahrt - wenn alles andere bricht.